
Die Textilindustrie ist der wichtigste Wirtschaftszweig Kambodschas. Produziert wird nicht nur fuer Billiganbieter wie H&M, sondern auch fuer Markenhersteller wie Nike und Adidas. Fast eine halbe Million Menschen erarbeiten in den Fabriken unter teils menschenunwuerdigen Bedingungen 80 Prozent des gesamten kambodschanischen Exportes. Bisher erhielten die meist ungelernten aus den aermsten Regionen des Landes stammenden Arbeiter einen Mindestlohn von 80 Dollar. Zusammen mit Ueberstunden und Wochenendzuschlaegen ergab das einen Reallohn von etwa 130 Dollar monatlich. Aber auch in einem Land mit dem relativ niedrigen Preisniveau von Kambodscha ist das zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel.

Deshalb forderten die Textilarbeiter und ihre Gewerkschaften eine Verdoppelung des Mindestlohns. Nachdem die Regierung den Lohn lediglich um 15 Dollar auf 95 Dollar erhoehte und spaeter noch einmal 5 Dollar nachlegte, begannen sie vor gut zwei Wochen einen unbefristeten Streik, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Auch das Versprechen aus dem Arbeitsministerium, den Mindestlohn bis 2018 jaehrlich stufenweise weiter zu erhoehen, konnte die Streikenden nicht umstimmen. Sie wandeln dabei allerdings auf einem sehr schmalen Grat. Denn die Befuerchtungen der Regierung, die auslaendischen Firmen koennten bei einem zu hohen Lohn in billigere Laender abwandern, ist sicher nicht ganz aus der Luft gegriffen. Im Vergleich zu anderen suedostasiatischen Staaten liegt der kambodschanische Mindestlohn etwa auf dem Niveau von Vietnam. In Thailand (243 Dollar) und Malaysia (247 Dollar) ist er wesentlich hoeher, Myanmar (51 Dollar) und Bangladesh (72 Dollar) liegen deutlich darunter.

Bis zum Ende der vergangenen Woche blieben die Proteste friedlich. Dann mischte sich die Oppositionspartei CNRP, die selbst seit dem Sommer mit Demonstrationen und anderen Aktionen gegen die angebliche Faelschung der Parlamentswahlen vom 28. Juli protestiert, mit populistischen Forderungen in den Konflikt ein. Der Fuehrer der CNRP Sam Rainsy wird nicht muede, auch in diesem Zusammenhang, wie vorher schon im Wahlkampf, immer wieder rassistische und antivietnamesische Positionen nach dem Motto: „Die Vietnamesen nehmen euch die Jobs weg!“ zu vertreten. Indem sie ihr politisches Sueppchen auf dem Ruecken der Streikenden kochten, haben Rainsy und sein Stellvertreter Kem Sokha, der unlaengst den Genozid der Roten Khmer an der eigenen Bevoelkerung leugnete, wohl auch die Eskalation zu verantworten, die sich am Freitag in Phnom Penh abspielte.
Der Kommentar dieses Videos von der Phnom Penh Post stimmt zwar nicht in allen Punkten mit meiner persoenlichen Meinung ueberein, beschreibt die Lage aber ganz gut.
Nachdem Streikende in einem Gewerbegebiet am Stadtrand versuchten, eine wichtige Ausfallstrasse zu blockieren, bewarfen sie die Polizei mit Steinen, Flaschen und Brandbomben. Die Sicherheitskraefte reagierten darauf leider unverhaltnismaessig. Und zwar mit Schusswaffen und scharfer Munition. Dabei kamen offiziell vier Menschen ums Leben. Meldungen, die von sieben oder acht Toten sprachen, sind nicht belegt. Alle Berichte, die ich direkt aus Phnom Penh bekommen habe, sagen aus, dass die Gewalt zuerst von den streikenden Arbeitern ausging. Laut Phnom Penh Post wurden waehrend der Ausschreitungen auch mehrere Geschaefte von ethnischen Vietnamesen angegriffen und gepluendert.
Trotzdem ist eine solche Aktion gegen Demonstranten und Streikende natuerlich keinesfalls gerechtfertigt. Die Verantwortlichen fuer diesen Einsatz muessen selbstverstaendlich zur Rechenschaft gezogen werden. Einen Tag spaeter loeste die Polizei dann ein Protestcamp der CNRP im Friedenspark auf. Horrormeldungen, sie haette dabei auf Frauen, Kinder und Moenche mit Eisenstangen eingeschlagen, sind durch nichts bestaetigt.

Es ist sicher fuer alle Beteiligten nicht einfach, in diesem Konflikt eine vernuenftige Loesung zu finden. Auch ich habe keine parat. Vor allen Dingen liegt es doch wohl an den internationalen Konzernen, ihren Arbeitern vernuenftige Lebensbedingungen zu schaffen. Doch Profit geht nun mal ueber alles. Das hat schon mein alter Kumpel Karl Marx vor langer Zeit erkannt.
Bei 50 Prozent Profit drueckt der Kapitalist beide Augen zu, bei 75 wird er kriminell und bei 100, da geht er ueber Leichen.
Viele Gruesse
Cathrin
