Der korrupte Korruptionsbekaempfer

Tran Van Truyen - Luxusvilla

Der 1950 in der Provinz Bến Tre im Mekong Delta geborene Trần Văn Truyền hat eine eindrucksvolle Karriere in der Kommunistischen Partei hinter sich. Er war Parteichef seiner Heimatprovinz, ueber jeweils zwei Wahlperioden Mitglied des Zentralkommitees und Parlamentsabgeordneter und schliesslich von 2007 bis zu seinem Ruhestand 2011 Chefinspektor der Antikorruptionsbehoerde Vietnams, also der oberste Korruptionsbekamepfer des Landes. Doch offensichtlich hatte man damit den Bock zum Gaertner gemacht.

Bereits Ende vergangenen Jahres geriet Trần Văn Truyền ins Visier der Medien, als bekannt wurde, dass er auf einem 16.000 Quadratmeter grossen Grundstueck in einem der aermsten Gebiete von Bến Tre eine Luxusvilla fuer seine Familie errichten liess. Der dreistoeckige Palast, dessen Inneneinrichtung teilweise aus teuren Edelhoelzern besteht, soll umgerechnet fast 300.000 Euro gekostet haben. Die Landnutzungsrechte hatte sein Sohn, ein Polizeibeamter, fuer rund 50.000 Euro vier armen Familien abgekauft, die dort vorher in primitiven Holzhuetten lebten. Nun gibt es zwar in Vietnam ein Gesetz, nach dem hohe Beamte jaehrlich ihre Vermoegensverhaeltnisse offen legen muessen. Beamte im Ruhestand sind davon allerdings nicht betroffen. So bleibt die Herkunft des Geldes unklar. Mit dem normalen Gehalt auch eines der hoechsten Beamten des Landes ist ein solches Projekt jedenfalls nicht zu finanzieren. Angeblich soll Trần Văn Truyền den groessten Teil der Baukosten von einer Halbschwester erhalten haben.

Die Ermittlungen von Inspekteuren des Zentralkommitees brachten nun weitere Ungereimtheiten ans Tageslicht. Konkret geht es dabei um drei Immobilien in HCMC und eine in Hanoi, die Trần Văn Truyền aufgrund seiner privilegierten Stellung zu teilweise hochsubventionierten Preisen erwerben konnte und die er entweder an Familienmitglieder ueberschrieb oder vermietete. Ausserdem wurde ihm bereits im Jahr 1992, als er noch Parteichef in Bến Tre war, gegen Recht und Gesetz ein Grundstueck von der Armee uebertragen, das er allerdings nie selbst nutzte, sondern an einen Restaurantbesitzer verpachtete. Fuer dieses Grundstueck hat Trần Văn Truyền nie Steuern gezahlt. Als er 2002 eine Zahlungsaufforderung erhielt, stellte er bei der Provinzregierung einen Antrag auf Befreiung, der wie selbstverstaendlich auch bewilligt wurde.

Die zustaendige Kommission der Partei prueft nun, wie in dem Fall weiter zu verfahren ist. Doch wie immer diese Entscheidung auch ausfallen wird, dieser Amts- und Machtmissbrauch eines hochrangigigen Funktionaers wird dem Vertrauen der Menschen und die Partei- und Staatsfuehrung, das sowieso schon seit Jahren immer weiter abnimmt, mit Sicherheit nicht foerderlich sein.

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Cathrin

Fernsehtipp – Bi, đừng sợ!

Bi, dung so

Dieser Tipp kommt leider sehr kurzfristig, aber ich habe es gerade erst mitbekommen. Der Fernsehsender ARTE zeigt heute Abend um 23:35 Uhr den Debutfilm des jungen vietnamesischen Regisseurs Phan Đăng Di. Eine Wiederholung laeuft in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend um 1:40 Uhr. Als Bi,đừng sợ! (Hab keine Angst, Bi) Anfang 2011 in die Kinos kam, loeste er nicht nur durch einige sehr freizuegige erotische Szenen grosse Diskusssionen aus. Der Film, der auf mehreren internationalen Festivals Preise bekam, hinterfragt vor allem sehr kritisch das heute in Vietnam vorherrschende Frauenbild. Fuer mich ist Bi,đừng sợ! einer der besten vietnamesischen Filme der vergangen Jahre.

Erzaehlt wird die Geschichte des sechsjaehrigen Bi, der mit seiner Familie in der Naehe einer Eisfabrik in Hanoi wohnt. In der Hitze der Regenzeit geht er gerne dorthin zum Spielen und sucht nach Zerstreuung und Abstand von den Problemen der Erwachsenen, die er noch nicht recht versteht. Sein Vater ist meist nicht da. Er vertreibt sich die Zeit mit einer jungen Friseuse und kommt haeufig erst zu spaeter Stunde betrunken nach Hause. Der Vater lehnt es ab, mit dem Grossvater zu sprechen, der nach einer langjaehrigen Abwesenheit schwer krank nach Hause zurueckkehrt. Bi jedoch findet in dem alten Mann einen Vertrauten. Seine Mutter pflegt ihren kranken Schwiegervater und schenkt ihm all die Zuwendung, die ihr Mann nicht annimmt. Trotz seiner Brutalitaet ertraegt sie ihr Leid schweigend und geht weiter ihren ehelichen Pflichten nach.

Die Tante von Bi, eine pruede und ledige Lehrerin, erwartet womoeglich ein aehnliches Eheleben. Insgeheim fuehlt sie sich zu einem ihrer jungen Schueler hingezogen. Um den gesellschaftlichen Konventionen zu entsprechen, beschliesst sie jedoch, den Cousin einer Kollegin zu heiraten. Der Tod des Grossvaters markiert schliesslich das endgueltige Auseinanderbrechen der Familie.

Die YouTube-Version dieses sehr sehenswerten Filmes gibt es leider nur in vietnamesischer Sprache.

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Cathrin

Nur geringes Vertrauen fuer mehrere Minister

Screenshot Tuoitre.vn

In der vietnamesischen Nationalversammlung fand heute die jaehrliche Vertrauensabstimmung ueber die 50 wichtigsten Politiker des Landes statt. Die Abgeordneten bewerten dabei die Arbeit des Staatspraesidenten, seiner Stellvertreterin, der Fuehrungsriege des Parlamentes und der Mitglieder der Regierung, indem sie ihnen grosses, normales oder nur geringes Vertrauen aussprechen.

Das schlechteste Ergebnis fuhr dabei die Gesundheitsministerin Nguyễn Thị Kim Tiến ein. Lediglich 97 Abgeordnete sprachen ihr grosses Vertrauen aus, waehrend 192 nur geringes Vertrauen zu ihr haben. Auch bei mehreren anderen Regierungsmitgliedern, darunter der Minister fuer Kultur, Sport und Tourismus, der Innen- und der Bildungsminister sowie die Ministerin fuer Arbeit, Soziales und Kriegsinvaliden, war die Zahl der Stimmen mit nur geringem Vertrauen deutlich hoeher als die mit grossem Vertrauen. Eigentlich muessten diese Personen jetzt zuruecktreten. Das wird aber mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht passieren.

Verkehrsminister Đinh La Thăng, der in seinem Verantwortungsbereich jede Menge „Baustellen“ hat, schnitt dagegen fuer mich ueberraschend gut ab. Der nicht unumstrittene Premierminister Nguyễn Tấn Dũng erreichte das fuer seine Verhaeltnisse sehr gute Ergebnis von 320 Stimmen mit grossem und nur 68 Stimmen mit geringem Vertrauen. Deutlich besser schnitt Staatspraesident Trương Tấn Sang mit 380 zu 20 ab.

Die komplette Ergenisse der Abstimmung kann man sich hier auch in englischer Sprache ansehen: Results of parliamentary confidence vote on Vietnam’s top leadership

Viele Gruesse
Cathrin

25 Jahre Mauerfall?

Festung Europa

Der 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer fand auch in den vietnamesischen Medien Beachtung. Ueber die Feierlichkeiten in der deutschen Hauptstadt wurde ausfuehrlich berichtet. Aber gibt es denn eigentlich etwas zu feiern? Die Mauer wurde doch gar nicht abgerissen. Sie wurde lediglich umgesetzt, und zwar an die Aussengrenzen der Festung Europa. In den vergangenen 25 Jahren starben dort schaetzungsweise 20.000 Menschen auf der Flucht vor Krieg, Armut und Hunger. Wer gedenkt eigentlich dieser Toten? Im reichen Europa, das durch Kriege, NATO-Terror und Waffenexporte einen wesentlich Anteil an der Fluechtlingswelle aus dem Nahen Osten und Afrika hat, kuemmert sich doch nur eine kleine Minderheit um diese Menschen.

Meine Eltern wohnen bekanntlich in Berlin Koepenick. Dort soll im Allendeviertel noch bis Weihnachten ein Containerdorf fuer 400 Kriegsfluechtlinge errichtet werden. Man kann sicher darueber diskutieren, ob das eine menschenwuerdige Art der Unterbringung ist und ob dieser Standort im aeussersten Suedosten von Berlin ueberhaupt dafuer geeignet ist. Der eigentliche Skandal ist jedoch meiner Meinung nach, dass die Anwohner aus den Medien von diesem Vorhaben erfuhren. Der verantwortliche Senator gehoert der CDU an und die ist ja nun nicht gerade fuer Buergernaehe und Menschlichkeit bekannt.

Ich kann also die Veraergerung und die Verunsicherung der Anwohner gut verstehen. Doch was passiert jetzt dort in diesem Wohngebiet? Nicht nur, dass sich die NPD als Trittbrettfahrer betaetigt und dort ihre widerliche braune Suppe kocht, es haben sich auch Menschen in diversen Gruppen bei Facebook zusammengefunden, die in der Anonymitaet des Internets ihren blinden Hass gegen alle Auslaender verbreiten. Formulierungen wie „Weg mit dem Dreckspack“ gehoeren dort noch zu den allerharmlosesten. Leider sind das keine Einzelmeinungen. Die grosse Zustimmung, die diese ekelhaften Rassisten erhalten, macht mich fassungs- und sprachlos. Die vernuenftigen Stimmen sind eindeutig in der MInderheit. Doch woher kommt dieser blanke Hass? Oder ist es einfach nur Futterneid? Ich verstehe es einfach nicht.

Fassungslose Gruesse
Cathrin

Te tấc te đác – Die Geburt von Erde und Wasser

Muong

Das mythologische Epos Te tấc te đác (vietnamesisch: Đẻ đất đẻ nước) ist der Stolz des Volkes der Mường. Diese Sammlung von Geschichten in Versen ist ein einzigartiges kulturelles Zeugnis und erzaehlt ueber die Entstehung von Himmel und Erde, von der Zeit in der es noch kein Leben gab bis zu den ersten Generationen der Volksgruppe der Mường. Es wurde von Generation zu Generation ueberliefert und kann auch als Enzyklopaedie ueber die Sitten und Braeuche der Mường bezeichnet werden. Mit Hilfe dieses Poems erzaehlen nicht nur die Eltern ihren Kindern ueber das Leben der Vorfahren, es spielt auch bei Trauerfeiern eine wichtige Rolle. Bevor ein Verstorbener die Welt verlaesst, liest ein Schamane bestimmte Stellen aus dem Poem und erzaehlt ihm ueber die Herkunft der Menschen.

De Dat De Nuoc

Das Poem berichtet ueber riesige Ueberschwemmungen, darauffolgende extrem heisse Duerreperioden sowie ueber einen geheimnisvollen Baum, der darueber aufklaert, wie die Mường geboren wurden. Auch die Herkunft des Landes und der Doerfer werden darin erwaehnt. Dabei wird die meiner Meinung nach sehr vernuenftige Auffassung vertreten, dass nicht irgendein Gott alles erschaffen hat, sondern einzig und allein die Natur fuer die Entstehung von Himmel, Erde, Fluessen und Seen verantwortlich ist. Natuerlich fehlt auch die Geschichte von den 100 Eiern nicht, die es in aehnlicher Form auch bei den mit den Mường eng verwandten ethnischen Kinh (Vietnamesen) gibt. Doch waehrend bei den Kinh 100 Soehne aus den Eiern schluepften, waren es bei den Mường 50 Soehne und 50 Toechter. Was fuer das Fortbestehen eines Volkes durchaus logisch klingt.

Das Poem wurde frueher nur muendlich ueberliefert. Da die Mường ueber ein grosses Gebiet im noerdlichen Vietnam verstreut leben, gibt es heute mehrere verschiedene Versionen, die zwischen 8.500 und 16.000 Verse umfassen. Unterschiedlich sind jedoch nur die Details, die Inhalte sind einander aehnlich. Das in Buchform veroeffentlichte Epos orientiert sich an einer Version aus der Provinz Thanh Hóa. Die letzte ueberarbeitete Ausgabe erschien 2012. Die Ausgabe auf dem Foto ist aus dem Jahre 1974.

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Cathrin

Der Raubtierkapitalismus ist endgueltig in Vietnam angekommen

Pew Studie 01

Nach einer gestern veroeffentlichten Studie des Pew Research Center sind 95 Prozent der befragten Vietnamesen der Meinung, dass von einem freien marktwirtschaftlichen System die meisten Menschen profitieren. Das ist unter den untersuchten 44 Laendern mit Abstand der Spitzenwert. Abgeschlagen folgten Suedkorea mit 78 und China mit 76 Prozent. Dabei stufen nur 34 Prozent der Vietnamesen die Kluft zwischen Arm und Reich als problematisch ein. Nur die Japaner sehen das noch pragmatischer.

94 Prozent der Befragten glauben, dass die heutigen Kinder in der Zukunft finanziell besser gestellt sein werden als ihre Eltern. Auch das ist der Spitzenwert, gefolgt von China und Chile. In Deutschland glauben das z.B. nur 38 Prozent. Gleichzeitig sehen 88 Prozent der Befragten in Vietnam bessere Chancen auf ein gutes Leben als im Ausland. In dieser Kategorie liegt Vietnam hinter Thailand und Indonesien auf dem dritten Platz.

Die komplette Studie kann man hier herunterladen: Emerging and developing economies much more optimistic than rich countries about the future

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Cathrin

Pew Studie

Zone 9 heisst jetzt X 98

X 98 - 01

Mitten in der Innenstadt von Hanoi, zwischen den Strassen Trần Thánh Tông und Nguyễn Huy Tự im Stadtbezirk Hai Bà Trưng, gab es bis Ende vorigen Jahres eine Einrichtung, die immer mehr ein vor allem junges Publikum anzog. In fuenf in den 1960er Jahren gebauten leerstehenden Gebaeuden einer ehemaligen Fabrik begann sich unter dem Namen Zone 9 nach und nach, zunaechst mit Duldung und spaeter mit Erlaubnis der Behoerden, eine alternative Jugendszene zu etablieren. Nach einigen Unfaellen in den maroden Haeusern und einem Brand, der sechs Todesopfer forderte, musste die Einrichtung von den Behoerden leider geschlossen werden.

X 98 - 02

Jetzt ist Zone 9 an einem neuen Standort und mit neuem Namen zurueck. Die Cafés, Bars, Restaurants, Boutiquen, Ateliers und Aussellungsraeume des alternativen Kunst- und Kulturprojektes befinden sich nun in der Hoàng Cầu-Strasse im Stadtbezirk Đống Đa in zwei durch Treppen miteinander verbundenen ehemaligen Fabrikgebaeuden. Die grosse Einweihungsparty findet am kommenden Freitag statt. Mehr Fotos gibt es hier: Cận cảnh khu tổ hợp ăn & chơi X98 ngày đầu khai trương

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Cathrin

X 98 - 03 Fotos: kenh14.vn

Zahlen und Fakten zum Schulwesen (1)

Klassenraum im Bergland

Im Dezember 2013 veroeffentlichte UNICEF eine ausfuehrliche Studie zum Schulwesen in Vietnam. Hintergrund dieser Studie ist das Vorhaben der Regierung, bis zum Jahre 2015 alle Kinder in die Schulen zu bringen. In ihrem Hauptteil basiert die Studie auf Untersuchungen, die zwischen November 2012 und Maerz 2013 in Hồ Chí Minh-Stadt sowie sieben repraesentativ ausgewaehlten Provinzen, je zwei im noerdlichen Bergland, im Zentralen Hochland und im Mekong Delta sowie eine zentralvietnamesische Kuestenprovinz, stattfanden. Um meine Leser nicht mit Zahlen und Statistiken zu erschlagen, habe ich mich entschlossen, die Studie in mehreren Teilen abzuhandeln. Bezug nehmen kann ich allerdings nur auf die Situation in Hanoi und Umgebung sowie im noerdlichen Bergland, da ich die in den anderen Landesteilen auch nur aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung kenne. Beginnen moechte ich heute mit einigen Daten zur Infrastruktur. Diese sind zwar von 2010, aber ich glaube nicht, dass sich seitdem daran viel geaendert hat.

In 99.5 Prozent aller vietnamesischen Staedte und Gemeinden gibt es (mindestens) eine Grundschule (Klassen 1-5), in 92,9 Prozent (mindestens) eine Mittelschule (Klassen 6-9). Das hoert sich erst einmal gut an, sagt aber nichts ueber die Ausstattung der Schulen aus. Die ist naemlich in den grossen Staedten wesentlich besser als in laendlichen Gebieten oder bei uns im Bergland, wo oft nicht nicht einmal genug Klassenraeume zur Verfuegung stehen und nicht selten in Provisorien unterrichtet wird.

Pausensport

Der Schulweg der Kinder betrug nach einer Umfrage von 2010 durchschnittlich 2,5 Kilometer. Aber auch hier muss man zwischen Stadt und Land differenzieren. Da eine Gemeinde in der Regel aus mehreren Doerfern besteht, die durchaus ziemlich weit auseinanderliegen koennen, ist der Weg zur Schule fuer die Kinder im Bergland doppelt so lang wie der der Stadtkinder. Im Durchschnitt wohlgemerkt. In bestimmten Faellen ist er wesentlich laenger. Die Kinder im Bergland werden auch nicht wie die verwoehnten Goeren in Hanoi von ihren Eltern, anderen Verwandten oder dem Hausmaedchen zur Schule gebracht und wieder abgeholt, sondern muessen diesen Weg schon in sehr jungen Jahren selbststaendig zuruecklegen. Wie hier im Blog schon mehrmals zu lesen war, kann so ein Schulweg ueber marode Bruecken oder durch Fluesse mit Hochwasser durchaus lebensgefaehrlich sein.

Die folgende Statistik zeigt noch einige interessante Fakten zur schulischen Infrastruktur auf, von denen mich einer ein bischen schockiert hat. Ich bin ja viel im Bergland unterwegs, aber dass dort rund 50 Prozent der Grund- und Mittelschulen immer noch keinen Stromanschluss haben, war mir gar nicht so bewusst. Wenn man dann noch die Klassengroessen von oft mehr als 50 Schuelern bedenkt, ist doch ein vernuenftiger Unterricht kaum moeglich. Da bin ich ganz froh, dass in den Klassen, die ich in Lâm Sơn unterrichte, nur jeweils gut 30 Schueler sitzen. Und auch das ist schon eine Herausforderung, wenn man keines der Kinder vernachlaessigen moechte.

Viele Gruesse
Cathrin

Infrastruktur

Das ewige Problem mit der Nachhilfe

Klassenzimmer

Die Online-Augabe der Jugendzeitung Thanh Niên veroeffentlichte heute die Ergebnisse einer Umfrage, die Mitte April an 140 Grundschulen in Hanoi, HCMC, Đà Nẵng, Cần Thơ sowie in den zentralvietnamesischen Provinzen Quảng Nam und Bình Định durchgefuehrt wurde. Danach besuchten fast 75 Prozent der Grundschueler (Klassen 1-5) neben dem normalen Unterricht auch noch Nachhilfestunden, obwohl das in der Grundschule eigentlich gesetzlich verboten ist. Die Quoten reichten dabei von 65,2 Prozent in Bình Định bis zu 88,2 Prozent in Đà Nẵng. Die meisten dieser Nachhilfestunden finden entweder unmittelbar nach Ende des normalen Schultages und/oder am Wochenende statt. Gehe ich davon aus, dass es sich hier um Grundschueler handelt, so werden die entsprechenden Quoten in der Mittelschule oder am Gymnasium noch viel hoeher sein.

Die Gruende, die die Eltern dafuer angeben, sind vielschichtig. Mehr als die Haelfte wuenscht, dass ihre Kinder den Lehrstoff des Tages noch einmal wiederholen und auch zusaetzliche Sachen lernen. Vor allem in den Grossstaedten werden die Nachhilfeklassen als Kinderbetreuung gesehen, waehrend die Eltern noch arbeiten. Andere Eltern gaben an, und das sicher nicht ganz ohne Hintergedanken, dass sie die Lehrer durch die zusaetzliche Zahlungen fuer die Nachhilfestunden unterstuetzen wollen. Das hat aber, genau wie grosse Geschenke zum Lehrertag oder zum Neujahrsfest, immer einen bitteren Beigeschmack. Nicht selten werden damit gute Noten einfach erkauft.

Schule macht Spass

Und genau hier liegt meiner Meinung nach das eigentliche Problem. Aus meiner finanziellen Unabhaengigkeit heraus laesst sich diese Nachhilfepraxis natuerlich leicht kritisieren. Auch ich bin am Nachmittag fuer meine Schueler da. Fuer schulische Probleme steht meine Haustuer fuer die Kinder immer offen. Zum selbststaendigen Lernen duerfen sie auch unsere Netbooks mit Internetanschluss nutzen. Der entscheidende Punkt dabei ist jedoch: Ich muss dafuer kein Geld nehmen. Doch die meisten Lehrer sind auf diesen Zusatzverdienst angewiesen. Daran wird sich sicher nichts aendern, solange die Gehaelter nicht entscheidend angehoben werden. Vom normalen Gehalt eines Lehrers kann man keine Familie ernaehren. Es gibt dabei allerdings auch Lehrer, die es auf die Spitze treiben und ihren normalen Unterricht so gestalten, dass nur die Kinder, die ihre Nachhilfekurse besuchen, den vollstaendigen Schulstoff vermittelt bekommen. Und das kann es doch nun wirklich nicht sein. Aus meiner Sicht haben diese Menschen im Lehrerberuf nichts verloren.

Verstehen kann ich aber auch die Eltern nicht, die ihre Kinder quasi einem Rund-um-die-Uhr-Bildungsdruck aussetzen, zumal in diesem jungen Alter. Denn der Job eines Kindes ist es doch in erster Linie, Kind zu sein. Meine Maedels und ihr „Girls Club“ jedenfalls haben genuegend Gelegenheiten auch fuer Aktivitaeten, die nichts mit der Schule zu tun haben, ohne dass dies negative Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen hat.

Viele Gruesse
Cathrin

Klasse 8

Mein Leben als Grau-Haar-Zupferin – Ein Maedchen aus Hanoi erzaehlt

Grau-Haar-Shop 01

Hallo, setzen Sie sich bitte! Oh, mein Name? Mein Name ist Hằng. Wie alt ich bin? Ich wurde 1987 geboren, aber bitte nennen Sie mich nicht Chị (aeltere Schwester). Das klingt fuer mich so alt! Dies ist eines der ersten Graue-Haare-Zupf- Geschaefte in Hanoi. Es existiert jetzt schon seit drei Jahren. Ich arbeite hier seit knapp einem Jahr, nachdem einer meiner Freunde mich auf diese Arbeit aufmerksam machte.

Ich wurde in Hanoi geboren und begann nach dem Schulabschluss zu arbeiten. Eine Zeit lang arbeitete ich Teilzeit als Vertriebsmitarbeiter in einem Bekleidungsgeschaeft. Dafuer musste ich einen Schulabschluss und gute Verkaufsfaehigkeiten haben. Aber dieser Job ist mit Abstand der beste, den ich bis jetzt hatte. Ich wohne in der Naehe, das ist sehr bequem fuer mich. Die Arbeit ist einfach und eignet sich gut fuer Maedchen.

Ich musste eine Woche ueben, bevor ich ein fester Mitarbeiter werden konnte. Ein normaler Arbeitstag beginnt um 9 Uhr und endet um 19 Uhr, aber die Zahl der Kunden ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Die meisten unserer Kunden sind Bueroangestellte und etwa jeweils zur Haelfte Frauen und Maenner. Um hier zu arbeiten muess man ehrlich und diszipliniert sein. Ich komme gut mit den anderen Mitarbeitern aus, wir sind wie Brueder und Schwestern. Und der Besitzer ist sehr freundlich. Er laesst uns selbst entscheiden, ob wir in Vollzeit oder in Teilzeit arbeiten wollen. Zum Neujahrsfest fuehrte er uns zu einem gemeinsamen Essen aus.

Grau-Haar-Shop 02

Am liebsten mag ich es, meine Stammkunden zu bedienen. Waehrend ich ihre Haare zupfe, erzaehlen sie viel ueber ihre Familie und ihr Leben. Aber mein Chef warnte uns vorher, nicht zu familiaer mit den Kunden zu werden. So sind wir stets darauf bedacht, etwas Abstand zu halten. Doch tatsaechlich moegen mich einige Kunden wie eine Tochter oder eine Enkelin. Frueher zupften nur kleine Kinder ihren Eltern oder Grosseltern die grauen Haare. So tendieren die Kunden dazu, mich so zu sehen. Niemand schaut auf mich herab.

Als ich anfing, betrug mein Gehalt 1,8 Millionen VNĐ (knapp 70 Euro), nach einem Jahr werde ich 2 Millionen bekommen. Ausserdem gibt es jedes Jahr am Jahrestag der Geschaeftseroeffnung eine Gehaltserhoehung und dann noch einige Boni fuer Arbeit an zusaetzlichen Tagen. Das ist genug fuer mich. Ich lebe noch bei meiner Familie und habe daher keine Miete zu zahlen, so dass ich genug Geld uebrig habe, um mit meinen Freunden ins Cafe zu gehen. Ich denke, es ist ein fairer Lohn. Einige meiner Freunde waren zuerst ueberrascht, als ich ihnen von dem Job erzaehlte. Aber nachdem sie gesehen hatten, was ich mache, moegen sie es. Auch meine Eltern denken, dass meine Arbeit ziemlich in Ordnung ist. Nachdem sie den Laden gesehen hatten, gaben sie mir die Erlaubnis, hier zu arbeiten. Unser Shop unterscheidet sich von anderen Haar-Geschaeften. Wir sind spezialisiert auf das Rupfen weisser und grauer Haare. Kein Kunde fragt nach anderen Dienstleistungen wie Massage oder Sex, die in vielen Friseursalons fuer Maenner angeboten werden. Unsere Kunden wissen sich zu benehmen.

Meine Traeume? Ich bin hier erst seit einem Jahr. So ist es noch ein bischen zu frueh fuer mich, mir Gedanken ueber andere Jobs zu machen. Frueher habe ich abends Englisch-Unterricht genommen. Ich denke, damit wieder anzufangen. Heute erfordert fast jede Arbeit Fremdsprachenkenntnisse. Vor allem aber traeume ich von der Familie, die ich eines Tages haben werde. Mein Vater besitzt eine Motorrad-Werkstatt. Vielleicht werde ich spaeter, wenn ich verheiratet bin, mit meinem Mann eine eigene Werkstatt eroeffnen.

Ich habe den Artikel in der Uebersetzung ein bischen gekuerzt. Hier geht es zum englischen Original: MY LIFE AS… a gray hair plucker

Viele Gruesse
Cathrin

Grau-Haar-Shop 03 Fotos: Ngoc Tran via oivietnam.com