7. Januar 1979 – Das Ende eines Voelkermordes

Kissinger

Heute vor 35 Jahren endete eines der schrecklichsten Kapitel in der Geschichte des kambodschanischen Volkes, die Gewaltherrschaft Pol Pots und seiner Angkar. Ein Viertel der kambodschanischen Bevoelkerung war in den Jahren seit 1975 an Erschoepfung und Krankheit zugrunde gegangen, zu Tode gefoltert oder erschlagen worden. Als Vietnams Truppen am 7. Januar 1979 die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh einnahmen, sollte das Morden ein Ende haben. Doch die Politik im Westen brandmarkte die Befreier als Besatzer. Es waren schliesslich Kommunisten. Deshalb erfreuten sich die angeblich „roten“ Khmer westlichen Wohlwollens, als sie Kambodscha ein weiteres Jahrzehnt Buergerkrieg aufzwangen. Erst schmerzliche Kompromisse mit den Resten der Pol-Pot-Truppen brachten dem Land rund zwei Jahrzehnte nach dem 7. Januar 1979 endlich Frieden.

Als Rote Khmer bezeichnete Koenig Norodom Sihanouk seit den sechziger Jahren die gegen seine Regierung opponierenden Mitglieder der kommunistischen Partei von Kambodscha. Bei einem Staatsstreich im Maerz 1970 setzte das kambodschanische Militaer mit Hilfe von USA und CIA den Koenig ab. Royalisten und Kommunisten besassen nun ein gemeinsames Interesse: Den neuen Machthaber Lon Nol zu stuerzen und die Einflussnahme der USA in Kambodscha zu beenden. Als Folge der brutalen amerikanischen Bombenangriffe auf das Land zogen mehrere Zehntausend Kambodschaner in die Waelder und schlossen sich den Guerilla-Einheiten der Roten Khmer an. Nach einem sich ueber mehrere Jahre hinziehenden Buergerkrieg uebernahmen die Roten Khmer am 17. April 1975 in Kambodscha die Macht.

Unter dem Jubel der Bevoelkerung zogen die Sieger an diesem Tag in Phnom Penh ein. Viele Kambodschaner glaubten, sie wuerden unter der neuen Regierung in Frieden leben und das vom Buergerkrieg zerstoerte Land wieder aufbauen koennen. Doch nur wenige Stunden nach dem Triumphzug gaben die Roten Khmer bekannt, dass saemtliche Bewohner innerhalb kuerzester Zeit die Stadt zu verlassen haetten. Wer sich weigerte, den Anordnungen der Roten Khmer Folge zu leisten, wurde erschossen. Zwei Millionen Menschen machten sich ueberwiegend zu Fuss in die landwirtschaftlichen Kooperativen auf, die ihnen die Roten Khmer zugewiesen hatten. Tausende von ihnen erreichten ihr Ziel nie, verhungerten, verdursteten, starben an unzureichend behandelten Krankheiten oder aus Erschoepfung.

Wie Phnom Penh wurden auch die anderen kambodschanischen Staedte zwangsevakuiert. Ziel der Roten Khmer war der Aufbau einer in laendlichen Kollektiven organisierten Bauerngesellschaft. Eine der Grundlagen des neuen Staates sollte der Reisanbau sein. Als Folge des Buergerkrieges fielen die erzielten Ertraege schlechter aus als geplant. Dennoch verkauften die Roten Khmer grosse Teile der Ernten an das Ausland, vorwiegend an China. Der für die Bevoelkerung in Kambodscha verbleibende Reis reichte bei weitem nicht aus. Maenner, Frauen und Kinder starben zu Tausenden an Unterernaehrung.

Um die Ziele der Roten Khmer zu erfuellen, hatte die gesamte Bevoelkerung zu arbeiten. Kinder und aeltere Menschen bekamen leichtere Aufgaben zugewiesen, alle anderen hatten Schwerstarbeit zu verrichten, entweder auf dem Feld oder bei einem der ehrgeizigen Bauprojekte. Von Hand, ohne adaequates Werkzeug, bauten junge Maenner und Frauen kilometerlange Daemme und Kanaele, oft mehr als zwoelf Stunden taeglich, sieben Tage die Woche. Wer es wagte, gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu protestieren, wurde hart bestraft. Manche der Bauwerke, etwa der kuenstliche See in Kamping Poy bei Battambang oder die vier großen Daemme in der Provinz von Kompong Thom, erinnern noch heute an die vielen Tausend Menschen, die bei ihrer Errichtung ihr Leben liessen.

Rote Khmer 1

Gehorsam erzwangen die Roten Khmer ueber ein engmaschiges Sicherheitssystem. Schon wegen Nichtigkeiten konnte man als „Staatsfeind“ oder „Verraeter“ denunziert und in eines der 200 „Sicherheitszentren“ verschleppt werden. Auf kommunaler Ebene handelte es sich dabei um Arbeitslager, auf regionaler und ueberregionaler Ebene um Foltergefaengnisse. Das wichtigste dieser Zentren, genannt S-21, befand sich in Phnom Penh. Den hier internierten Gefangenen wurden unter schwerer Folter „Gestaendnisse“ abgepresst, die die Roten Khmer zu Propagandazwecken einsetzten. Nach Abschluss der Verhoere wurden die Gefangenen mit Lastwagen auf einen 13 Kilometer vor der Stadt gelegenen chinesischen Friedhof gebracht und mit Aexten erschlagen. Von den ueber 20.000 Maennern, Frauen und Kindern, die in S-21 interniert waren, ueberlebten nur sieben.

Rote Khmer 2

Die Dorfgemeinschaften der Chăm, einer ethnischen Minderheit muslimischen Glaubens, wurden aufgeloest und ihre Bewohner ueber das Land verteilt. Wer sich widersetzte, wurde, wie viele der religioesen Fuehrer, umgebracht. Vietnamesen, die in Kambodscha lebten, wurden ab 1975 abgeschoben. Nur diejenigen, die mit Kambodschanern verheiratet waren, durften zunaechst bleiben. Ab 1977 wurden auch sie systematisch verfolgt und ermordet.

Rote Khmer 3

Immer wieder griffen die Roten Khmer die vietnamesische Grenzregion an. Mitte 1977 bombardierten sie Châu Đốc, Hà Tiên und andere Ziele in vietnamesischen Provinzen. Dabei kamen zahlreiche Zivilisten ums Leben. Spaetestens seit Ende 1977 befanden sich Kambodscha und Vietnam in einem Krieg, der letztlich das Ende der Roten Khmer besiegelte. Im Dezember 1978 unternahmen die Vietnamesen die entscheidende Grossoffensive. Daran beteiligt waren auch einige Zehntausend Kambodschaner, darunter ehemalige Angehoerige der Roten Khmer, die vor der Schreckensherrschaft nach Vietnam geflohen waren. Am 7. Januar 1979 marschierten sie in Phnom Penh ein. Die Regierung war geflohen, die Diktatur beendet. Insgesamt starben als Folge der Gewaltherrschaft der Roten Khmer zwei Millionen Menschen.

Aber das Sterben ging weiter. Westliche Hilfslieferungen blieben weitestgehend aus. Nur das leidgepruefte und selbst hungernde Vietnam schickte Lebensmittel und Medikamente.

Der Krieg selbst sollte nach fast 20 Jahre andauern. Die Reste der Roten Khmer zogen sich nach ihrer Niederlage in die unwegsamen Dschungelgebiete des Landes und ueber die Grenze nach Thailand zurueck. Jahrelang erfreuten sie sich nicht nur an der Unterstuetzung Chinas, sondern auch der der USA und anderer westlicher Staaten. Von 1980 bis 1986 flossen jedes Jahr ueber geheime Kanaele des US-Senates und der Vietnam Veterans of America Foundation 85 Millionen Dollar in ihre Kassen. Auf Druck der USA genehmigte das Welternaehrungsprogramm der UNO im Jahre 1980 12 Millionen Dollar, die ueber die thailaendische Armee an die Roten Khmer uebergeben wurden. Diese Hilfe machte es moeglich, zwischen 20.000 und 40.000 Untergrundkaempfer zu rekrutieren, die die Bevoelkerung des Landes weiter terrorisierten. Noch bis 1989 nahmen die Roten Khmer, als Exilregierung anerkannt, widerrechtlich den Platz Kambodschas bei der UNO ein. Erst im Jahre 1998 streckten die letzten Kaempfer die Waffen.

Es ist nur zu verstaendlich, dass sich Kambodscha Regierung angesichts solcher Erfahrungen standhaft weigerte, die endlich moeglich gewordenen Prozesse gegen die ueberlebenden Hauptschuldigen des Verbrechensregimes allein einer „internationalen Gemeinschaft“ zu ueberantworten, die so tief in dessen Geschichte verstrickt war. Ergebnis langer und zaeher Verhandlungen ist jenes gemischte Tribunal, das jetzt vor den Toren Phnom Penhs Recht sprechen soll. Wahr ist, das geschieht reichlich spaet. Den geringsten Teil der Schuld daran traegt jedoch Kambodschas heutige Regierung. Auch wird nicht ueber die Mitverantwortung auslaendischer Staaten vor und nach dem „Demokratischen Kampuchea“ verhandelt werden, so dass weder die Regierung der USA, noch die chinesische, thailaendische u.a. ihre unheilvolle Rolle erklaeren muessen, die sie in Kambodscha jahrzehntelang gespielt haben.

Der Journalist William Shawcross kam nach den Recherchen zu seinem Buch Sideshow – Kissinger, Nixon and the Destruction of Cambodia (deutsch: Schattenkrieg – Kissinger, Nixon und die Zerstoerung Kambodschas, erschienen 1980 im Ullstein Verlag) zu folgendem Fazit:

Es ging mir nicht darum, Kissinger und Nixon zu verdammen. Ich wollte das Wesen und den Erfolg der Roten Khmer erklaeren. Ich kam zu dem Schluss, dass die Hauptverantwortung fuer ihr Wachstum und ihren Sieg bei Nixon und Kissinger liegt. Hier liegt der Kern meiner Kritik, fast jeder amerikanische Verantwortliche, der in Kambodscha taetig war und mit dem ich sprach, teilt diese Kritik.

Nach dem Erscheinen diese Buches musste Kissinger Teile seiner Memoiren noch einmal umschreiben.

Viele Gruesse
Cathrin

3 Gedanken zu “7. Januar 1979 – Das Ende eines Voelkermordes

  1. Kambodscha hat ebenso wie Vietnam und Laos unendlich unter den Kriegen gelitten. Und es ist beschämend, dass gerade der Westen durch aktives und gewolltes Nichthinschauen das Leiden des kambodschanischen Volkes, nach 1975, noch verlängerte. Besonders angesprochen sei die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die heute, besonders in Afrika, nur allzu gern „Verantwortung“ übernimmt.

    Das sich die USA nach dem Debakel in Vietnam (1975) nicht mehr direkt engagieren wollte, vermag ich nachzuvollziehen. Zur Person Kissingers vermag ich nichts positives zu sagen, ausser, dass ich diesen Mann, und nicht nur wegen Vietnam und Kambodscha für einen Kriegsverbrecher halte. Nur trägt er nicht allein die Verantwortung für die Misere des kambodschanischen Volkes.

    Soweit mir bekannt, gehen die, von Cathrin angesprochenen, Grenzprovokationen der Roten Kmehr auf Wunsch, Druck und Billigung Chinas aus. Zwischen den USA und China war aber gerade das große „Tauwetter“ im Gange, welches nach Nixons Staatsbesuch (1972) ausgebrochen war.

    Kambodscha heute bzw. in den letzten 10-15 Jahren. Viel Widerspruch sehe ich da. Hun Sen führt das Land, er selbst gehörte mal den Roten Khmer an. Direkte Beteiligung an Verbrechen konnten ihm nicht nachgewiesen werden. Eilig hatte er es aber mit der Begnadigung einiger einstiger Mitkämpfer. Auch die Rolle der wieder erstarkten Rolle der Royalisten erscheint mir undurchsichtig.

    Ansonsten müssen wir wohl leider feststellen, dass im Land momentan brutal wirtschaftliche Interessen Einzelner gegeneinander ausgespielt werden. Da ist die Fremdfinazierung der Opposition durch US amerikanische Konzerne und die fragwürdige Nähe Hun Sens zu einem thailändischen Multimilionär, dessen Familie in Kambodscha Hotels und ein Kasino betreibt. Der Herr genießt in Kambodscha „stilles Asyl“. In Thailand existiert seit Jahren ein Haftbefehl. Die Vorwürfe beginnen bei Steuerhinterziehung, Anlagebetrug und enden bei Mord.

    Ich fürchte, kambodscha wird noch lange brauchen, um zu einem eigenbestimmten Leben zu gelangen und „fremde“ Fesseln abzuschütteln. Ja ich fürchte sogar, dass dies in Zeiten globalisierter Wirtschaftsinteressen- und Mächten garnicht mehr möglich sein wird. Welchen Weg immer Kambodscha beschreiten wird oder muss, ich wünschen dem Land, dass es die Kraft hat, einen friedlichen Weg zu wählen.

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  2. Egal was geschrieben wird, ich war damals sehr froh, dass die Vietnamesen in Kambodscha einmarschiert sind. :yes: Man hatte ja vorher schon so Einiges gehört oder gelesen, aber das wahre Ausmaß des Genozids wurde erst dann richtig klar. Die kambodschanische Gesellschaft hat sich bis heute von diesem Aderlaß nicht völlig erholt und nicht zuletzt sind die vielen Landminen ein weiter schwelendes, grausames und tödliches Erbe, welches noch Jahre zur Beseitigung brauchen wird. Leider konnten auch hier, wie in Deutschland nach dem Krieg, die meisten Täter recht ungstört leben und sogar Karriere machen. 🙄

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